Virtuelle IBANs (vIBANs) sind ein bemerkenswertes Produkt der Digitalisierung im Finanzsektor. Sie stehen für Effizienz, Flexibilität und technische Raffinesse im Zahlungsverkehr. Für Unternehmen bieten sie erhebliche Vorteile: Sie ermöglichen die Zuordnung individueller Zahlungseingänge zu spezifischen Kunden oder Geschäftsvorgängen, ohne dass für jede einzelne Transaktion ein eigenes Konto eröffnet werden muss. Diese Struktur erleichtert die Buchhaltung, verbessert die Skalierbarkeit von Geschäftsmodellen – etwa bei Marktplätzen oder Zahlungsdienstleistern – und erlaubt die weitgehend automatisierte Verarbeitung hoher Transaktionsvolumina über API-Schnittstellen. Vor allem im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr sind vIBANs eine attraktive Lösung, da sie regulatorisch weniger aufwendig erscheinen und neue Möglichkeiten im Bereich Embedded Finance und digitaler Plattformen eröffnen.
Doch aus Sicht eines Finanzermittlers ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die größte Herausforderung liegt in der strukturellen Entkopplung zwischen der sichtbaren vIBAN und dem tatsächlichen wirtschaftlich Berechtigten. Im Gegensatz zu klassischen Bankkonten, bei denen die IBAN direkt einem eindeutig identifizierten Konto zugeordnet ist, verweisen vIBANs lediglich auf ein zentrales Sammelkonto. Die eigentliche Zuordnung findet intern beim E-Geld-Institut oder FinTech statt – eine Information, die für Ermittlungsbehörden ohne Mitwirkung des Anbieters nicht zugänglich ist. In der Praxis bedeutet das: Die auf einem Überweisungsbeleg angegebene IBAN führt bei einer Anfrage nicht unmittelbar zu einem konkreten Empfänger, sondern lediglich zu einer technischen Struktur, die erst aufwendig entschlüsselt werden muss.
Diese Verzögerung ist in der Betrugsermittlung besonders kritisch. Zeit ist der wichtigste Faktor, wenn es darum geht, Transaktionen zu stoppen, Gelder einzufrieren oder Rückbuchungen zu veranlassen. In Fällen wie CEO Fraud, gefälschten Rechnungen oder betrügerischen Online-Shops, bei denen Gelder innerhalb von Minuten weitergeleitet oder abgezogen werden, führen auch kleinste Verzögerungen zu irreversiblen Schäden. Genau hier liegt die Schwäche der vIBAN-Struktur: Sie schafft eine zusätzliche Ebene der Intransparenz, die Tätern in die Hände spielt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser virtuellen IBANs von FinTechs mit Sitz in anderen EU-Staaten wie Litauen, Estland oder Zypern ausgegeben werden, deren Kooperationsbereitschaft mit Ermittlungsbehörden sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Selbst innerhalb der Europäischen Union variiert der Zugang zu Daten, die Qualität der KYC-Prüfungen und die technische Rückverfolgbarkeit erheblich. Bei Anbietern aus Drittstaaten wie Großbritannien nach dem Brexit oder aus Offshore-Jurisdiktionen ist eine effektive Zusammenarbeit oft nahezu unmöglich oder dauert schlicht zu lange.
Besonders auffällig ist die Nutzung von vIBANs in Verbindung mit sogenannten Money Mule-Netzwerken. Täter werben gezielt Personen – oft junge Menschen oder finanziell Schwache – an, um über FinTechs Konten zu eröffnen, die dann mit mehreren vIBANs ausgestattet werden. Diese vIBANs erscheinen bei Opfern als legitime Geschäftskonten, etwa im Rahmen von Online-Verkäufen oder Investitionsangeboten. Tatsächlich laufen sie aber auf ein einziges zentrales Konto, über das Gelder aus verschiedenen Betrugsdelikten gesammelt, verschleiert und weiterverteilt werden. Die scheinbare Legitimität der IBAN, oft inklusive lokalem Länderkennzeichen, stärkt das Vertrauen der Opfer und erschwert die frühzeitige Erkennung durch Banken oder Zahlungsdienstleister. Auch die Ausnutzung regulatorischer Grauzonen spielt den Tätern in die Hände: Manche Anbieter bieten vIBANs ohne vollständige Identitätsprüfung oder mit unzureichender Dokumentenprüfung an. In anderen Fällen kommen synthetische Identitäten, gestohlene Ausweisdaten oder gefälschte Dokumente zum Einsatz. Die Prüfung erfolgt oft automatisiert, lückenhaft oder oberflächlich. Ist eine vIBAN erst einmal aktiv, agieren die Täter unter dem Deckmantel formaler Korrektheit und sind für kurze Zeit kaum von legitimen Akteuren zu unterscheiden.
In der täglichen Ermittlungsarbeit wird deutlich, dass viele Anbieter, die vIBANs generieren, keine festen Ansprechpartner für Strafverfolgungsbehörden vorhalten. Anfragen verlaufen ins Leere oder werden nur schleppend beantwortet, teilweise erst nach mehreren Wochen – wenn überhaupt. Selbst bei kooperativen Instituten sind die technischen Hürden hoch. Viele Systeme basieren auf proprietären Plattformen mit unterschiedlichem Datenzugang. Einfache Rückfragen, wie: „Wer ist der wirtschaftlich Berechtigte dieser vIBAN?“ führen zu langwierigen Eskalationsketten, oft mit internationalem Bezug. Gleichzeitig erhöht sich die Zahl der gemeldeten Betrugsfälle, in denen vIBANs als zentrales Instrument zur Verschleierung und Geldverlagerung genutzt wurden. Klassische Mustererkennungen versagen, weil Täter bewusst mit Dutzenden vIBANs agieren, um Beträge zu splitten, Auffälligkeiten zu reduzieren und Ermittlungen zu erschweren.
Der Einsatz von vIBANs ist aus technologischer Sicht nachvollziehbar und in vielen Fällen legitim, doch ihre Einführung erfolgte schneller als die Entwicklung geeigneter Kontroll- und Kooperationsmechanismen. Die aktuellen regulatorischen Anforderungen an Anbieter solcher virtueller Konten reichen nicht aus, um ein gleichwertiges Maß an Sicherheit wie bei klassischen Banken zu gewährleisten. Zwar existieren EU-weite Regeln zu KYC, AML und Transaktionsmonitoring, doch ihre praktische Umsetzung ist von Anbieter zu Anbieter stark unterschiedlich. Zudem fehlen Sanktionen bei unzureichender Kooperation mit Ermittlungsbehörden oder bei wiederholten Auffälligkeiten.
Für den Finanzermittler bedeutet dies eine neue Realität, in der klassische Ermittlungsinstrumente zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Ohne einheitliche Schnittstellen für Datenzugriff, klar definierte Ansprechpartner bei Anbietern und transparente Prozesse zur Rückverfolgung von Transaktionen geraten auch gut aufgestellte Ermittlungsbehörden in strukturelle Rücklage. Die Täter haben das erkannt – und nutzen es gezielt aus. Wo früher mit gefälschten Auslandskonten gearbeitet wurde, genügen heute wenige Klicks, um eine vIBAN mit lokalem Anstrich und glaubwürdigem Auftritt zu generieren. Es ist ein Spiel auf Zeit – und bislang liegen die Vorteile auf der Seite der Kriminellen.